Die Fachverbände danken für die Aufbereitung der Beratungsunterlagen zum Themenkomplex "Hilfe-, Gesamtplan- und Teilhabeplanung (Teil 2), Finanzierung, Übergang in die Eingliederungshilfe, Gerichtsbarkeit und Umstellung sowie Übergangsphase" und nehmen wie folgt Stellung:
A. TOP 1: Hilfe-, Gesamtplan- und Teilhabeplanung (Teil 2) - Handlungsoptionen
Die im Arbeitspapier zur 4. Sitzung in Top 1, Handlungsoption 3 dargestellte Struktur eines Planungsverfahrens ist für die Fachverbände für Menschen mit Behinderung nur in Ansätzen nachvollziehbar, da sich das Gesamtbild der Verfahrensstruktur einschließlich der Bedarfsermittlung und Bedarfs- bzw. Hilfeplanung nicht recht erschließt. Vor diesem Hintergrund können sich die Fachverbände dem Vorschlag einer Verfahrensstruktur in der im Arbeitspapier dargestellten Form nicht vollumfänglich anschließen.
Regelungen, die das Teilhabeplan- und Gesamtplanverfahren nach SGB IX bzw. Hilfeplanverfahren nach SGB VIII betreffen, müssen in eine Regelungssystematik überführt werden, in der die Grundsätze des trägerübergreifenden Verfahrens des SGB IX beachtet werden. Die neue Struktur muss dabei die Gesamtheit der Verfahrensschritte ("Antrag" bzw. Kenntnis des Leistungsbegehrens bis "Bewilligungsbescheid") abbilden und das Ineinandergreifen der einzelnen Verfahrensschritte gewährleisten. Darüber hinaus müssen die Verfahrensgrundsätze definiert werden und die Strukturen, sofern möglich harmonisiert und sofern erforderlich, differenziert werden.
Die Verfahrensgrundlagen und -grundsätze - auch aus dem SGB IX - müssen dabei im SGB VIII verankert werden. Verweise, die die Verfahrensgrundlagen und - grundsätze des SGB IX betreffen, sollten nur als Auffangtatbestand fungieren. Um eine gelingende Verfahrensstruktur und eine inklusive Bedarfsermittlung und -feststellung bzw. Leistungs- und Hilfeplanung zu gewährleisten, müssen u.a. die nachfolgenden Grundsätze bei der Gestaltung der neuen gesetzlichen Grundlagen beachtet werden:
- Die Bedarfsermittlung und -feststellung und die Leistungs- bzw. Hilfeplanung ist so zu gestalten, dass der Rehabilitations- und Teilhabebedarf vollständig ermittelt und festgestellt werden kann. Dabei ist sicherzustellen, dass behinderungsspezifische Aspekte in die systemische Betrachtungsweise der Jugendhilfe Eingang finden. Um eine umfassende und bedarfsorientierte Bedarfsermittlung sowie Leistungs- bzw. Hilfeplanung sicherzustellen, muss daher die ICF-orientierte Bedarfsermittlung mit der entsprechenden fachlichen Diagnostik für Kinder und Jugendliche mit (drohender) Behinderung in die Hilfeplanung integriert und von geschulten Fachkräften ausgeführt werden.
- Die Fachverbände fordern im Sinne der gleichwertigen Lebensbedingungen eine bundeseinheitliche Bedarfsermittlung für Kinder und Jugendliche mit (drohender) Behinderung. Die Fachverbände lehnen es in diesem Zusammenhang ab, die nähere Ausgestaltung der Bedarfsermittlung und - instrumente auf die Landesregierungen zu delegieren. Ein bundeseinheitliches Instrument trägt dazu bei, dass für alle leistungsberechtigten Personen unter den gleichen Gesichtspunkten eine Bedarfsermittlung erfolgt. Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen zu prüfen, inwieweit er von seiner Möglichkeit nach Art. 84 Abs. 1 S. 5 GG Gebrauch machen und wegen eines besonderen Bedürfnisses nach bundeseinheitlicher Regelung das Verwaltungsverfahren ohne Abweichungsmöglichkeit für die Länder regeln kann. Denn die in § 118 Abs. 2 SGB IX bereits vorgesehene Delegation hat im Rahmen der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) dazu geführt, dass 16 verschiedene Bedarfsermittlungsinstrumente mit viel Bürokratie für die Leistungsberechtigten eingeführt wurden. Ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsinstrument dient nicht nur der Rechtssicherheit, sondern auch dazu, dass Kosten eingespart werden, da die Entwicklung und Schulung der Mitarbeitenden im Umgang mit dem Instrument mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand einhergehen. Abschließend ist festzuhalten, dass es nicht sein kann, dass die Bedarfsermittlung und - feststellung sowie die Leistungsgewährung vom Wohnort der Familie abhängen!
- Eine Überprüfung des Teilhabe- und Gesamtplans in kurzen Abständen - wie teilweise bei den Hilfen zur Erziehung üblich - ist bei Kindern und Jugendlichen aufgrund der Behinderung und der bestehenden Barrieren nicht erforderlich und bindet unnötige Ressourcen. Daher sollte eine bedarfsgerechte Regelung aufgenommen werden. Die gesetzliche Klarstellung, dass der Teilhabe- und Gesamtplan in der Regel erst im Abstand von zwei Jahren überprüft wird, ist sinnvoll.
- Darüber hinaus müssen die Verfahrensstrukturen sicherstellen, dass mit der Einleitung des Verfahrens die Eltern bzw. die Sorgeberechtigten, Vertrauenspersonen, ggfs. Geschwisterkinder und Leistungserbringer unter dem Dach des SGB VIII beteiligt werden. Im Übrigen verweisen die Fachverbände für Menschen mit Behinderung auf ihre ausführliche Positionierung zum Thema "Verfahren, Hilfe-, Teilhabe- und Gesamtplanung sowie Bedarfsermittlung" aus der Stellungnahme zur Sitzungsunterlage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) für die 3. Sitzung am 20. April 2023 in der Arbeitsgruppe "Inklusives SGB VIII".
Die gesamte Stellungnahme steht Ihnen als Download zur Verfügung.