Der Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. geht angesichts der gegenwärtigen Überlastung der Krankenhäuser in der aktuellen Corona-Pandemie davon aus, dass es in Pandemiefällen oder anderen Krisen- und Notlagen zu Triage-Situationen kommen kann.
Aufgrund der Erfahrungen der unzureichenden gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderung in der Phase des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 regte der CBP gemeinsam mit den Selbsthilfeverbänden am 5. Mai 2020 die öffentliche Debatte in der Zivilgesellschaft zur Thematik der Triage an.
In der Medizin beschreibt die Triage die möglichst gerechte Verteilung von nicht ausreichenden Ressourcen für eine größere Anzahl von Patienten. Die Ressourcenknappheit zwingt das jeweils handelnde medizinische Personal zu einer Entscheidung, warum bestimmte Patienten behandelt werden können und warum nicht. Bislang hat der Gesetzgeber zu möglichen Triage-Situationen keinen rechtlichen Rahmen beschrieben, in dem vor dem Hintergrund des Grundgesetzes klargestellt wird, dass die Verteilung nicht gegen die Normen von Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und Art. 3 GG verstoßen darf. Dies muss jetzt dringend erfolgen.
Entsprechend fordert der CBP eine rechtliche Grundlage, die im Sinne des Art. 3 GG sicherstellt, dass niemand aufgrund von bestimmten Stigmata oder Zuschreibungen von einer notfall- oder intensivmedizinischen Behandlung ausgeschlossen wird. Eine solche Regelung muss auch gewährleisten, dass eine Benachteiligung aufgrund von Krankheit, Alter oder Pflegebedürftigkeit ausgeschlossen ist. Dazu gehört, dass der der Zugang zur erforderlichen medizinischen Versorgung chancengleich erfolgt.
In Triage-Situationen müssen alle Menschen gleichbehandelt werden. Kriterien wie "klinische Erfolgsaussicht der Behandlung" oder die Einbeziehung von "Gebrechlichkeitsskalen" wie sie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) fordert, sind nach Ansicht des CBP diskriminierend und deshalb abzulehnen.
In Deutschland sind die "Triage-Empfehlungen" der DIVI quasi die einzige und entscheidende Grundlage dafür, ob ein Patient Zugang zur intensivmedizinischen Behandlung bekommt und ob die Behandlung bei knappen Ressourcen weitergeführt wird. Die Empfehlungen der privatorganisierten Fachgesellschaft haben daher in ihrer Wirkung für die Praxis nahezu Rechtscharakter. Dies ist für den CBP mit Blick auf die tangierten Grundrechte und die Entscheidung über Leben und Tod nicht hinnehmbar. Die DIVI hat in einer eigenen Pressemeldung die Verfassungsbeschwerde der neun Beschwerdeführer begrüßt und zeigt damit an, dass auch die Fachgesellschaft an einer juristischen Einordnung der Triage-Thematik ein hohes Interesse hat.
Vor allem mit Blick auf die deutsche Geschichte, in der u. a. Ärzte während des Nationalsozialismus auf Grundlage von kruden Rasse- und Erbgesundheitskriterien darüber entschieden, welches Leben "lebenswert" ist und welches nicht, ist der Gesetzgeber aufgefordert und gefragt, für die Handhabung der Triage und aller Priorisierungsentscheidungen in der Medizin eine diskriminierungs- und vorurteilsfreie Rahmensetzung zu sorgen.
Der CBP regt nachdrücklich an, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu verpflichtet, Regelungen zu treffen
- die auf Grundlage der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 GG stärkere präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Triage-Situationen vorsehen
- die im Falle der Triage-Situation die diskriminierungsfreie intensivmedizinische Behandlung für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sicherstellen
- die ausschließen, dass es zu einer "Triage vor der Triage" kommt d.h. das Patienten aufgrund bestimmter Maßnahmen und Kriterien gar nicht erst bis zur notfall- und intensivmedizinischen Behandlung vordringen können. Dies trifft insbesondere auf wohnungslose Menschen zu, auf geflüchtete Menschen, auf Menschen mit psychischen Erkrankungen oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Alle diese Personengruppen benötigen i. d. R. eine erweiterte Assistenz in der Kommunikation und Unterstützung, auf die sie gegenwärtig keinen gesetzlichen Anspruch haben.
Bereits die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die die Bundesrepublik Deutschland im März 2009 gesetzlich verabschiedet hat, verbietet es, einen behinderungsbedingten Assistenzbedarf als Ressourcenproblem anzusehen. Zudem verpflichtet die UN-BRK den Gesetzgeber über die Norm der "angemessenen Vorkehrungen" ausreichende Mittel zu investieren, um behinderungsbedingte Barrieren auszugleichen.
Die vollständige Stellungnahme können Sie unten herunterladen.