Bei der Wahl zum Deutschen Bundestag am 26. September 2021 dürfen über 84.000 Menschen mit Behinderungen zum ersten Mal wählen. Der Fachverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. (CBP) ist sehr froh darüber, dass sie endlich ihr demokratisches Grundrecht wahrnehmen können, denn bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Januar 2019 waren etliche Menschen mit Beeinträchtigungen, für die ein Gericht eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten verfügt hatte, von der politischen Teilhabe ausgeschlossen.
Auch Klaus Winkel durfte über viele Jahre sein Grundrecht zu wählen nicht ausüben. Der 52-jährige lebt in Paderborn und befindet sich seit längerem in rechtlicher Vollbetreuung. Als er vor wenigen Tagen endlich seine Wahlbenachrichtigung erhielt, war die Freude groß, denn trotz seiner Beeinträchtigungen ist er ein politisch sehr interessierter Mensch: "Ich habe nie verstanden, warum ich beim Wählen nicht die gleichen Rechte haben soll wie alle anderen auch!" Weil es ihm vorher versagt wurde, ist das Wahlrecht für Klaus Winkel etwas, das er sehr zu schätzen weiß. Dementsprechend sorgfältig wägt er ab, wem er bei der bevorstehenden Bundestagswahl seine Stimme gibt. Eine große Hilfe sind ihm dabei die Unterlagen, die die Ergänzenden Unabhängigen Teilhabe-Beratungen (EUTB) in Westfalen eigens für Menschen mit Beeinträchtigungen zusammengestellt haben.
Der CBP hat viele Jahre gegen die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen durch die Wahlrechtsausschlüsse gekämpft und 2019 zusammen mit anderen Verbänden die Verfassungsklage von Menschen mit Behinderungen unterstützt. Erst als das Bundesverfassungsgericht am 29. Januar 2019 dem Recht gegeben hatte, machte der Bundestag für ein Wahlrecht für alle den Weg frei.
Dafür kommt es aber nach Überzeugung des CBP darauf an, dass Menschen mit Beeinträchtigungen von diesem demokratischen Grundrecht auch Gebrauch machen, das heißt eine informierte Entscheidung und eine selbstbestimmte Wahl treffen können. Dazu benötigen sie entsprechend aufbereitete Informationen und nötigenfalls Assistenz. Denn auch wenn Menschen eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten haben, darf das keineswegs heißen, dass sie als gleichberechtigte Staatsbürger nicht politisch teilhaben dürfen - im Gegenteil: Was es braucht, sind vielmehr Informationen in Leichter Sprache, Geduld und Verständnis, und daran mangelt es den Wahlprogrammen der Parteien und leider auch dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für Politische Bildung noch viel zu oft.
Klaus Winkel dagegen fühlt sich auf der Grundlage des Materials und der Unterstützung, die er bekommen hat, jedenfalls gut informiert: "Ich weiß jetzt, wie ich bei der Bundestagswahl meine Stimme abgebe", sagt er selbstbewusst und auch ein bisschen stolz, "und ich werde mir am Abend im Fernsehen anschauen, ob die Partei, die ich gewählt habe, auch gewonnen hat."