Resolution der
Fachtagung 50 Jahre Psychiatrie-Enquête zum aktuellen Handlungsdruck
Die Fachtagung 50 Jahre Psychiatrie-Enquête wird von 14 Verbänden getragen und ist auf ein
überwältigendes Interesse gestoßen. Sie findet am 2. und 3. Juni 2025 in einer besonders
angespannten Situation statt, die von zunehmenden prekären Lebensbedingungen langfristig
psychisch erkrankter Menschen und von spektakulären Taten bzw. deren Berichterstattung
geprägt ist. Das Gefühl der Bedrohung nimmt zu, der Handlungsdruck auf Gesundheits-, Sozial-,
Innen- und Justizpolitik wächst. Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine nüchterne
faktenbezogene Analyse und energische Reform-Maßnahmen.
Nüchterne Analyse:
- Schwere Gewalttaten von psychisch erkrankten Menschen haben nicht zugenommen (wissenschaftlich belegt).
- Zugenommen hat die Berichterstattung, insbesondere auch in den sozialen Medien.
- Sicher ist, dass psychisch erkrankte Menschen deutlich häufiger Opfer als Täter werden - im öffentlichen Raum und durch Retraumatisierung bei Zwangsmaßnahmen.
- Vermutlich im Unterschied zu anderen Straftaten gilt: Gerade bei Menschen mit einer Psychose
kann eine akute existentielle Notlage die Entwicklung zu einer schweren Straftat begünstigen.
- Das statistisch erhöhte Täter-Risiko bezieht sich bisher vor allem auf das nahe Umfeld.
Existenzielle Bedrohung geschieht auch durch prekäre Lebensbedingungen, durch die krisenhafte
Entwicklung der Welt, die zunehmende Spaltung der Gesellschaft und erst recht durch
Obdachlosigkeit. Diese hat bei psychisch erkrankten Menschen dramatisch zugenommen. Die
eigene Wohnung, das eigene Zimmer, unser Zuhause ist unsere zweite Haut, unser Schutzraum. In
einer Psychose den Blicken aller ausgesetzt zu sein, sich nicht mehr abgrenzen zu können, kann
Angst und Panik triggern, macht die Paranoia zu Realität.
Daraus resultiert:
"Gefährder-Listen" sichern niemanden! Die pauschale Weitergabe von Daten macht psychisch
erkrankte Menschen zu Bürgern zweiter Klasse. Beides ist unpraktikabel. Es erhöht aber die
Stigmatisierung von bis zu einem Drittel der Bevölkerung. Es schreckt gerade die von Hilfe ab, die
sie am dringendsten brauchen.
Notwendige Maßnahmen:
- Das menschliche Grundrecht auf Wohnen für die wachsende Gruppe obdachloser psychisch
erkrankter Menschen muss verwirklicht werden.
- Wir brauchen aufsuchende, nachgehende und ggf. intensive (Krankenhaus-)Behandlung sowie
die verbindliche Kooperation aller Leistungserbringer einer Region mit regionaler
Pflichtversorgung in Gemeindepsychiatrischen Verbünden.
- Zum Funktionieren eines auf langfristig psychisch erkrankte Menschen konzentrierten
Verbundes gehört selbstverständlich auch eine verbindliche Kommunikation - im akuten Notfall
auch mit Sicherheitskräften - aber nicht mit dem Ziel der Ausgrenzung und der Verschiebung
von Verantwortung, sondern dem der gemeinsamen Zuständigkeit und einer damit
verbundenen größeren Haltefähigkeit.
Eine Vielzahl der Psychisch-Kranken (Hilfe) Gesetze und einige aktuelle Psychiatriepläne weisen in
diese Richtung. Wir brauchen politischen Elan, das umzusetzen, aber keinen Aktionismus, der
vieles blockiert.
Die überwältigende Zahl der Teilnehmenden der Tagung (fünf Neinstimmen und 20 Enthaltungen)
fordert die veranstaltenden Verbände sowie die zuständigen Ministerien der Bundesregierung und
in den Bundesländern auf, in diesem Sinne tätig zu werden.