Einführung
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1541/20 entschieden, dass sich aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) für den Staat der Auftrag ergibt, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung durch Dritte zu schützen. Hintergrund war eine Verfassungsbeschwerde von neun Menschen mit Behinderung, die zur Risikogruppe einer Covid-19-Erkrankung mit schweren Krankheitsverläufen gehören. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten die Menschen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der keine gesetzlichen Regelungen bei Zuteilung von Intensivplätzen trotz der Knappheit der Intensivbetten während der Pandemie erlassen hat. Menschen mit Behinderung befürchten, bei knappen Behandlungsressourcen aufgrund ihrer Behinderung durch die medizinischen Empfehlungen von einer lebensrettenden medizinischen Behandlung ausgeschlossen zu werden. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hat im März 2020 klinisch-ethische Empfehlungen für "Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin" im vor dem Hintergrund der Corona Pandemie veröffentlicht. Durch diese Empfehlungen, die keine rechtliche Kraft, aber praktische Auswirkungen haben, werden Menschen mit Behinderung vor und während der Krankenhausbehandlung immer wieder benachteiligt.
Im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das Auslöser für das vorliegende Gesetzesverfahren ist, wies der CBP auf die strukturelle Benachteiligung von Menschen mit Behinderung im Gesundheitssystem hin, die sich in der Pandemie weiter verstärkte. Beispielsweise wurden Menschen mit Behinderung aus Einrichtungen der Caritas trotz schwerer Covid-19- Infektion in einigen Fällen nicht ins Krankenhaus aufgenommen, obwohl sie in der Einrichtung nicht optimal versorgt werden konnten, eine Situation die man als eine "Triage vor der Triage" bezeichnen kann.
Bei einer Notfall-Aufnahme ins Krankenhaus entscheiden Ärztinnen und Ärzte, für wen die Kapazitäten vorrangig zur Verfügung gestellt werden. Bei Kapazitätsengpässen werden ärztliche Entscheidungen gegenüber Menschen mit Behinderung - so die Beobachtungen des CBP - immer wieder diskriminierend getroffen, sei es aufgrund fehlender Fachlichkeit, Überforderung oder sei es aufgrund schwieriger Kommunikation oder anderer Gründe.
Der CBP setzte sich dafür ein, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu verpflichtet, gesetzliche Regelungen zu treffen, die eine diskriminierungsfreie intensivmedizinische Behandlung für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sicherstellen. Entsprechend wertet der CBP den ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als Erfolg zum Schutz der Grundrechte von Menschen mit Behinderung und als deutliche Rüge gegenüber dem Gesetzgeber. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss festgestellt, dass die Menschen mit Behinderung "vor erkennbaren Risiken für höchstrangige Rechtsgüter in einer Situation (Pandemie), in der sie sich selbst nicht schützen können, derzeit nicht wirksam geschützt sind."
Der CBP hat während der Pandemie vermehrt aus seinen Mitgliedseinrichtungen und Diensten die Rückmeldung bekommen, dass u.a. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sowie Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen trotz medizinischer Indikation für eine stationäre Aufnahme nicht im Krankenhaus aufgenommen wurden. Nach Auffassung des CBP müssen entsprechend gesetzliche Vorgaben zur Triage, Menschen mit Behinderung sowohl unmittelbar als auch mittelbar vor Benachteiligungen und Diskriminierung schützen. Dafür sieht § 5c Abs. 2 des Referentenentwurfs vor, dass die Entscheidung über die Zuteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten nur unter Berücksichtigung der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" der betroffenen Patientin oder des betroffenen Patienten getroffen werden darf. Diese Begrenzung ist nach Auffassung des CBP hochriskant und kann unter Umständen dazu führen, dass Menschen mit Behinderung per se unter Triage-Bedingungen diskriminiert werden. Letztlich wird aus Sicht des CBP mit dieser Begrenzung und Fixierung auf das genannte Kriterium sogar das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen. Das Kriterium der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" ist ein zusammengesetztes Konstrukt der beiden medizinischen Kriterien Behandlungsbedürftigkeit ("Dringlichkeit") und Prognose (Erfolgsaussicht der Behandlung), das suggeriert, die Entscheidungsnotsituation weitgehend objektivieren zu können. Dem ist nicht so. Im Gegenteil zeigt sich die Gefahr, dass selbst Ärztinnen und Ärzte glauben könnten, dass eine "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit" anders bewertet muss als eine grundsätzliche "Erfolgsaussicht". Menschen mit Behinderung, alte Menschen und andere vulnerable Personengruppen, die beispielsweise unter mehreren Krankheiten gleichzeitig leiden, wären damit per se benachteiligt und diskriminiert, da deren "aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit" mit der Bewertung der grundsätzlichen Überlebenswahrscheinlichkeit - die in diesen Personengruppen im Durchschnitt mutmaßlich unter dem Bundesdurchschnitt der Bevölkerung liegt - vermischt würde.
Die gesamte Stellungnahme steht Ihnen als Download zur Verfügung.